Mangold Duo

Lange habe ich nach einem Namen gesucht für das, was meist zusammen, in Südfrankreich gerne aber voneinander getrennt gegessen wird. Mangold.

Wer es jetzt eilig hat, springt hier sofort zum Rezept weiter. Wer eine geniale Geschichte über Schlemmen auf Französisch erfahren möchte, liest hier nun weiter:

In Frankreich gibt eine Esskultur, bei der mit mehr Bedacht für die Speisen und die Abfolge der Speisen gegessen wird als bei uns in Deutschland. An einem Buffet sähe man z. B. niemanden, der sich den Teller mit Vor- und gleichzeitig Hauptspeise voll machen würde, mit kalt und warm gleichzeitig und möglicherweise noch dem Dessert in der linken Hand. Bei der älteren Generation war es noch gang und gäbe, auch im Alltag in Menuform zu essen. Erst eine Vorspeise, dann ein Hauptgericht, ein Stückchen Käse und ein, wenn auch kleines, Dessert hinterher. Der Kaffee (für uns ein Espresso) darf nicht fehlen. Auch wird man in jedem Restaurant mindestens ein Menu oder das Tagesmenu finden. Selbst die Schulspeisung wird in Form von Vier-Gang-Menus gereicht.

Es gibt dreigängige, vier-, fünf- sechsgängige Menus und noch einige mehr. Der Klassiker ist eigentlich das Dreigang-Menu. Einen Salat, eine Suppe, eine kalte oder warme Kleinigkeit vorweg. Das Hauptgericht ist weit weniger üppig als bei uns. Wer das nicht kennt und die großen Portionen gewohnt ist, meint, damit hungrig vom Tisch wieder aufzustehen. Das meint man aber auch nur. Ein Dessert zum Abschluss und zusätzlich der obligatorische kleine Kaffee, heiß und süß aus einer Minitasse geschlüft.

Beim Viergang-Menu gibt es vor dem Dessert noch eine kleine Käseauswahl. Bei fünf Gängen wird es schon anspruchsvoller, da es hier entweder erst eine kalte un dann eine warme Vorspeise gibt oder eine Vorspeise und zwei Hauptgerichte – in entsprechender Menge, um den gepflegten Genuß zu wahren und in keine Völlerei zu verfallen. Bei sechs Gängen sind es zwei Vorspeisen, zwei Hauptspeisen, bei sieben gibt es das „trou normand“ zwischendurch, ein Minz-, Rosmarin- oder Zitronensorbet, damit die ersten Gänge besser sacken. Meint man zu mindestens. Ab sechs Gängen artet es oft schon in einen sehr langen Abend mit viel Wein und langen Gesprächen aus. Aber, gibt es Schöneres unter Freunden?

Das Üppigste, was ich jemals gegessen habe? Und das – der Gott der Gourmetschlemmerei sein Dank – sogar mehrmals? Das war in einem uralten Hotel in einem kleinen und beschaulichen Garnisonsstädtchen in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur. In einer Gegend, die weder Côte d’Azur, noch Provence, noch Berge, noch Meer ist, sondern genau dazwischen. Ja, das gibt es auch. Ich habe dort ein paar Jahre gelebt. Dieses uralte Hotel, das seit, ich vermute mal der Ursprünglichkeit und dem Stil nach der Belle Epoque, nie aufwändig restauriert wurde und als Hotel stillgelegt war. Doch das Restaurant wurde jedes Wochenende geöffnet.

Hotel und Restaurant gehörten einem einst großen Küchenchef, der sich aus dem Karusell der haute cuisine zurückgezogen hatte und bis zu seinem Tod mit fast 90 Jahren mit Leidenschaft am Herd stand. Seine Enten und Gänse zog er selber auf, die Morcheln wurden auf seinem Grundstück angebaut, die Trüffel kamen nur aus Frankreich und für seine Langusten gab es einen einzigen Lieferanten, dem er vertraute. Alle anderen waren „voyous“, Gauner, Strolche! Ein wenig schräg war unser Chef schon!

Und jeden Freitag-, Samstag- und Sonntagabend bereitete er das gleiche Menu zu, nein, zwei Menus, eins etwas günstiger als das andere. Aber wenn er keine Lust hatte auf Chichi – Extrawürste – und nur ein oder zwei Gäste das günstigere Menu bestellt hatten, gab es für alle das gleiche. Da kannte er kein Federlesen. Er kannte auch kein Pardon, was die Uhrzeiten anging. Es war Platz für ca. 30 Gäste in dem Spiegelsaal, der mit gestärkten Tischdecken und Servietten und edelstem Geschirr eingedeckt war. Für mehr als 30 hatte er keine Lust zu kochen. Sonst würde die Qualität leiden. Um pünktlich 20:15h wurde angefangen zu servieren und keine Minute später. Man hatte um 20h dort einzutreffen, wurd platziert und es gab einen kleinen Apéritiv, den man sich sogar aussuchen durfte. Aber nichts zu knabbern dazu. Warum? Das werdet Ihr gleich verstehen.

Wie das Menu aussah und warum man besser daran tat, einen elastischen Hosen- oder Rockbund zu haben, wollt Ihr wissen, richtig?

Der erste Gang wurde pünktlich serviert und immer für alle 30 Gäste auf einmal, denn „Monsieur“, wie er ehrfürchtig sogar von seiner Frau genannt wurde, hatte keine Lust, für jeden einzeln zu kochen.

Den Anfang machte ein Mesclun-Salat (ein leicht bitterer Wildsalat) mit einer nie erreichten Vinaigrette. Eine leichte, getrüffelte Morchel-Königinnenpastete – mit selbst gezogenen Morcheln, klar, folgte! Ein fulminanter Start!

Für diejenigen, die das günstige Menu bestellt hatten, gab es nun eine Pause … oder auch nicht, wenn Monsieur keine Lust auf Chichi hatte. Für die anderen gab es nun eine halbe kalte Languste mit Sauce Bearnaise und knackigem leicht warmem Julienne-Gartengemüse. Das war eher die hübsche Deko für das Langustentier, nicht wirklich mehr als zwei Gabeln voll. Hat mich nie gestört. Die halbe Languste war wirklich der einzige Unterschied in den beiden Menus!

Den Anschluss bildete eine zartschmelzende knusprig gebratene Entenbrust, eine ganze (!) wahlweise mit Pesto oder Orangensauce und selbstgemachten Tagliatelle. Das Pesto musste er ja nicht extra heiß machen. Darauf hätte er keine Lust gehabt und hätte allen Orangensauce serviert.

Seid Ihr schon satt beim Lesen? Dann zieht Euch jetzt warm an, bzw. macht den Gürtel auf, denn es geht weiter! Nun kam ein „trou normand“ (normannische Loch) ein Sorbet ja nach Tageslaune von Monsieur. Entweder ein nur gerade eben und genau richtig und unauffällig gesüßtes Rosmarinsorbet, ein Minz-, Zitronen- oder sogar Calvadossorbet. Wie schon gesagt, je nachdem, wie Monsieur so drauf war. Das normannische Loch soll der Förderung der Verdauung und als Appeititanreger dienen, das heißt, vor der Fortsetzung der Speisefolge Platz beziehungsweise ein „Loch“ im Magen schaffen. Wer’s glaubt … 😀

Ab und zu sah man durch ein Loch in der Wand zur Küche ein Auge lugen. Das wachsame Auge von Monsieur, der seine Gäste beobachtete und seine Speisen auf den Punkt genau zubereitete.

Der Appetit für den nächsten Gang ist also da und wir kommen zum Höhepunkt des Abends, gestopfte Gänseleber. Feinfühlige Leser und Tierfreunde, bitte einmal nicht so genau lesen, Ihr habt ja recht! Aber der Genuß … (Ich gebe zu, es heute noch sehr gerne zu essen, wenn ich es bekommen kann). Die 10 Leber – es gab immer eine für drei Personen, ja, so groß waren die – wurde vor dem Zerteilen von Monsieur persönlich auf einem Silbertablett präsentiert. An jedem Abend erzählte er stolz, wie wenig Verlust er beim Zubereiten hätte. Er und nur er würde in Frankreich die richtige Zubereitungsart beherrschen. Dann stellte er das große Tablett auf einen von seiner Frau in der Zwischenzeit dafür bereitgestellten Tisch und verteilte diese köstliche Speise auf 30 Teller. Bis alles gerecht aufgeteilt war. Dazu kam „jus“, ein unvergleichlich gutes, gewürfeltes dunkles Gelee und grüner Salat.

Seine Servicekraft, Maryse, ein Original aus dem besagten Städtchen, durfte derweil das „Pain de mie“ präsentieren und servieren, ein leicht gesüßtes Brot, mit dessen Scheiben Monsieur grundsätzlich Häuschen baute. Er hatte halt Lust darauf! Manchmal war das Brot etwas dunkel geraten, was dem Genuß keinen Abbruch tat. Aber Maryse belustigte sich dann bei den Gästen leise, dass Monsieur wohl „reingehauen/gelitten? “ hätte. „Monsieur a morflé“. Was sie damit genau sagen wollte, hat niemand verstanden, aber alle lachten natürlich mit ihr. Im Herbst hatte sie dunkel gefärbte Fingernägel von der Weinlese und war in ihrer ganzen Art recht „robust“. Aber ohne sie hätte irgend etwas gefehlt in diesem Restaurant.

Ihr könnt nicht mehr? Pech gehabt, ich sagte ja, Hosenbund auf!

Denn nun kam die Käseplatte und frisches Baguette. Monsieur wachte mit Argusaugen darüber, dass sich jeder Gast mindestens drei verschiedene Sorten aussuchte! Und sein Käse war einfach erste Klasse. Perfekt gemacht und gereift!

Alles abgeräumt, der Tisch mit Maryses flinken Bewegungen von seinen Brotkrümeln befreit, fuhr Monsieur nun den Dessertwagen auf. Leise japsend hatte man eigentlich nur noch Platz für ein Scheibchen filettierte, geeiste Orange. Aber nein, das ließ Monsieur nicht zu! „Wie wäre es mit einer „Dame blanche“, einem „Pêche Melba“ oder einem „Flan maison“, Madame?“, lauter reichhaltige und üppige Desserts, die er persönlich für jeden zusammenstellte. „Bien, weil Sie es sind, Monsieur und Ihre Küche so hervorragend“. „Danach dürfen Sie gerne ein wenig geeiste Orange essen, so, um den Magen zu schließen!“ war dann seine Antwort, die ich auch schon kannte 😀 und ich schloss das inzwischen drei Stunden dauernde Mahl mit geeister Orange ab.

Ein Kaffee und einen Calvados, für die Raucher gab es jetzt etwas zu rauchen – vorher war es streng verboten – und um halb zwölf durften alle geschlossen gehen, nachdem wir bei der streng dreinschauenden Madame an der Rezeption mit gezücktem Scheckheft gewesen waren. Was dieser Abend gekostet hat? Fast „nichts“! Ein Essen in einem etwas besseren Restaurant ohne Stern und Chichi kostete in den 80er Jahren schon 50 bis 80 DM, was nicht gerade ohne, aber normal war. Das entspricht heute 50 bis 80 €. Leistete man sich ja auch nicht jeden Tag. Ein Menu bei Monsieur kostete … 50DM! Er muss zum Selbstkostenpreis gewirtschaftet haben.

Ach ja, ich bin ein wenig abgeschweift, richtig? Jetzt aber schnell!

Das Mangold Duo

Ich denke, auch Monsieur hätte sie geschmeckt, die einfache Hausmannskost.

Für zwei Personen:

1 Mangold

100 g guten (!) durchwachsener Speck, keinen vakkumverpackten vom Supermarkt.

1 Dose Tomaten

2 Esslöffel Tomatenmark

1 Zweig Rosmarin

200 ml Wasser

20g Butter

1 geh. Teelöffel Mehl

1 Schalotte

1 Knoblauchzehe

Salz

Pfeffer

Den Mangold waschen und den Strunk großzügig abschneiden. Die Blätter von den Rippen entfernen und mit 100 ml Wasser in einen Topf geben.

Von den Mangoldrippen die feinen Häutchen abschälen, die sie umhüllen. Das macht etwas Arbeit, lohnt sich aber. Man kann sie auch dranlassen, dann werden die Mangoldrippen etwas fester im Biss. Die Rippen dann in fingerdicke mundgerechte Stücke schneiden.

Die Schalotte und die Knoblauchzehe in feine Würfelchen schneiden. Den Speck von der Schwarte entfernen, würfeln oder in längliche Stücke schneiden, wie man es mag.

Die Blätter ca. 5 Minuten kochen und zusammenfallen lassen. Abtropfen, auf einem Schneidebrett grob hacken und beiseite tun. Das Wasser weggießen.

Den Speck in einer Pfanne mit Deckel oder einem Topf bei mittlerer Hitze kurz anbraten. Die Mangoldstücke dazugeben, mit dem Speck mischen. Pfanne oder Topf mit einem Deckel schließen und das Ganze ca. 5 Minuten dünsten. Dann die Tomaten, das Tomatenmark, 100ml Wasser und den Rosmarinzweig dazugeben. Pfeffern (KEIN Salz, der Speck gibt genug Salz ab) und 15 bis 20 Minuten bei kleiner Hitze köcheln lassen. Ab und zu umrühren. Normalerweise bin ich eine Freundin von knackigem Gemüse, die Mangoldrippen sollten aber durchgegart und weich sein.

Währenddessen die Butter in dem Topf schmelzen lassen, in dem die Blätter gekocht wurden. Die gehackte Schalotte und Knoblauchzehe dazugeben, glasig werden lassen und mit dem Teelöffel Mehl bestäuben. Dabei schnell rühren, damit keine Klümpchen entstehen. Den Herd ausmachen, die Resthitze reicht ab jetzt. (Bei Induktion bitte auf ganz kleine Stufe stellen). Die gehackten Blätter dazugeben, mit der Schwitze vermischen, nach Geschmack salzen und pfeffern.

Den Blätter“Spinat“ auf dem Herd ruhen lassen, bis die Rippen fertig sind. Den Rosmarinzweig entfernen und dann zusammen genießen.

***

Ende der 80er machte Monsieur sein Restaurant definitiv zu, das Hotel wurde für lange Jahre mit Brettern vernagelt. Es war in der ersten und zweiten Etage schon seit langem einsturzgefährdet. Drei Wochen später war er gestorben, Monsieur. Madame sah man noch ab und zu in der Stadt, ihre Gesichtszüge waren noch strenger geworden, die Falten noch tiefer, der Rücken gebückt. Ihr Leben an der Seite von Monsieur muss nicht einfach gewesen sein. Aber ohne ihn und das Hotel existierte auch sie nicht mehr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert